LESEPROBE
meines Buches (in Arbeit)
Danksagung
Ich möchte ich bei meinen beiden Söhnen bedanken.
Dieses Buch widme ich Euch, in der Hoffnung, dass Ihr noch mehr versteht….
Danke, dass Ihr all das die Jahre über ausgehalten und mit getragen habt.
Danke, dass Ihr meine Söhne seid.
Ich liebe Euch.
Eure Mutter
Mein Dank gilt auch Lutz, ein Fotograf aus Berlin, der mich mit Ruth,
aus Hamburg, bekannt machte, die ein Bucdh über Stasi Kinder
geschrieben hat und in Zusammenarbeit mit mir einen Kurzbericht über
meine Kindheit im „STERN“ veröffentlichte.
Mein Dank gilt auch all jenen, die mich darin bestärkt haben, meine
Lebensgeschichte zu veröffentlichen und mir stets Mut zu sprachen.
Speziell danke ich Dir Knut. Du hast immer an mich geglaubt.
Einleitung
Ich habe mich oft gefragt, ob ich, als Stasi-Kind, alleine auf dieser
Welt, mit all den Problemen, bin. Wo sind denn all die Stasi-Kinder nach
dem Fall der Mauer geblieben? Dass es sie gibt, war/ist mir klar.
Gleichzeitig fragte ich mich immer, ob sie die gleiche „Erziehung“
über sich ergehen lassen mussten oder ob es nur mir alleine so ginge.
Vielleicht bin ja ich das Problem und nicht die Anderen? Diese Zweifel
ließen mich lange nicht los. Die Schuldgefühle erst recht nicht. Gut,
letztere bin ich, dank meiner Psychotherapien, los geworden, was ja
schon an sich ein harter Kampf war, denn sie waren größer als ich, jene
schweren Steine, die nicht nur meinen Weg säumten, sondern auch mitten
auf selbigen lagen und die ich mir vornahm wegzuräumen, ohne jemals,
also vor der Beginn der Therapie, zu wissen, dass sich dahinter noch
größere, noch spitzere Steine, gar Felsen, nein, ich untertreibe (!),
ganze Gebirge an Problemen, Erinnerungen, Gefühlsausbrüchen bis hin zur
Fast-Alkoholikerin verbargen. Dazu später mehr
Ich schreibe dieses Buch nicht nur für meine Söhne, sondern auch für
all die Stasi-Kinder da draußen. Es gibt uns. Das kann keiner leugnen
und wir werden bis zu unserem Tode an den Traumata zu knappern haben.
Wir alle können noch so viele Therapien machen, aber die seelische
Folter der Stasi können und werden wir nicht vergessen, zu tief sitzen
die Anker. Dank der Therapien kann ich heute anders damit umgehen,
sodass ich keine Suizidgedanken mehr und nicht mehr saufe!
Mir tut die Enkelkinder-Generation, dieser Stasi-Eltern leid, die ja
auch in die Probleme involviert sind, ob sie das nun wollen oder nicht.
Koste es, was es wolle; zu ihrem Leidwesen. Die einen leiden mehr, die
anderen weniger, ganz nach Gusto der Stasi-Eltern-Generation. Es liegt
also an unserer Generation, dass zumindest die Enkelkinder einigermaßen
psychisch gesund aus der Sache rauskommen. Ich werde sehen und bin
gespannt, wie das mit der Ur-Enkel-Generation sein wird, denn noch sind
meine Enkel zu klein, um zu verstehen, wieso Uroma und Uropa so sind,
wie sie sind.
Fakt ist: auch sie beginnen schon Fragen zu stellen.
Sommer 1978, ich war zum ersten Mal verliebt, ein Grenzer, der passte
ja, zum Glück, kaderpolitisch in unsere Stasi-Familie, weil sein Vater
Polizist war. Dies recherchierte natürlich mein Stiefvater. Ich wusste
bis zu dem Zeitpunkt nicht, dass meine Familie STASI war. Wäre die Weste
vom Fred nicht weiß gewesen, also wenn er Westverwandtschaft gehabt
hätte, hätte ich den Kontakt zu ihm abbrechen müssen oder ich wäre ins
Heim gesteckt worden und hätte mich von meiner Familie lossagen müssen.
Also meine Hölle begann so richtig heftig im Sommer 78! Ich war 17!!
Bis dahin glaubte ich mich also in einer weitestgehend normalen
Familie zu befinden, wobei mir schon etliche Ungereimtheiten auffielen….
Antworten auf Fragen gab es ja eh nie… Wen hätte ich denn Fragen
sollen. Um uns herum wohnten alles nur STAATSDIENER, der ganze Eingang,
in dem wir wohnten, STAATSDIENER! Stasi.
Was war geschehen?
Meine Mutter erhielt von ihrem Betrieb, einem Spielzeugwarenbetrieb,
im Sommer 78 eine Auszeichnungsreise nach Leningrad. Sie hatte ihr
Marxistisch-Leninistisches Lehrjahr bestanden, was zum großen Teil eh
nur VATI für sie schrieb, da sie große Schwierigkeiten mit Lesen und
Schreiben hatte; gut, sie war ein Kriegskind… Sie sollte für die Stasi
arbeiten (das erfuhr ich später, woraus dann wohl nichts wurde), also
musste sie Parteimitglied werden und um zu ihrem politisch korrekten
Mann standesgemäß zu passen, musste sie sich angleichen und so kam es zu
diesem einen Jahr. Grausam!
Da meine Mutter nicht alleine die Reise nach Russland antreten wollte,
begleitete mein Stiefvater sie und bezahlte die Reise aus eigener
Tasche. Ein Klacks für ihn, bei einem Jahreseinkommen von 40.000
DDR-Mark, der Durchschnittsbürger verdiente zwischen 600-800 DDR-Mark.
Nun waren mein Bruder und ich alleine du das Schicksal nahm einen Lauf.
Die Eltern also weit weg in Russland, schaute ich ganz mutig und mit
zittrigen Händen in die silberne, metallene, Schatulle, vor der mich
meine Mutter immer warte niemals herein zu sehen. Ich tat es! Ich hatte
Angst! Große Angst! Aber 16 Jahre Neugier trieben mich förmlich dazu.
Ich konnte den Inhalt kaum festhalten, so sehr zitterte ich. Dann stieß
ich auf meine Geburtsurkunde und ich begriff nicht, wer dieser fremde
Mann war, der dort unter „Vater“ eingetragen war. Klaus-Dieter? Wer ist
das? Ich las weiter und begriff den Satz nicht „das Kind hat mit
heutigen Datum, an Kindes statt, den Namen „Mayer“ angenommen“. Mir
stand der Schweiß auf der Stirn. Die Hände zitterten und obwohl die
Eltern weit weg waren, fühlte ich mich von ihnen beobachtet, so groß war
meine Angst, sie würden nach der Reise etwas merken. Ich schrieb mir
diesen „komischen“ Satz auf einen Zettel, legte die Geburtsurkunde fein
säuberlich zurück in die Schatulle. achtete darauf, dass der Zettel auch
haargenau so lag, wie ich ihn vorfand, um mich bloß nicht zu verraten.
Gleichsam stelle ich die Schatulle hinter das Glas der Vitrine. Dann
fuhr ich sofort zu meiner Freundin; es war später Nachmittag. Wir waren
im gleichen Lehrjahr und da ich wusste, dass sie mit einem Stiefvater
aufwuchs, glaubte ich mich bei ihr an richtiger Stelle. Sie erklärte mir
also die Bedeutung dieses Satzes und ich wollte all das nicht glauben
und wahr haben. Ich fuhr mit dem Bus völlig verstört nach Hause, legte
mich hin und vergaß völlig, dass ich den Notizzettel auf den Couchtisch
liegen ließ. Am nächsten Tag fuhr ich wieder zu meiner Freundin, denn
ich hatte noch starken Redebedarf. Als ich wieder nach Hause kam, war
ich aufs extremste geschockt. In mir zog sich alles zusammen. Mir wurde
heiß und kalt. Ich hatte den Zettel vergessen! Mir wurde kotzübel.
Überall in mir nur Angst. Ich sah mich schon in einem Kinderheim. So ein
Misst! Meine Eltern waren zwei Tage früher aus Russland zurück! Sie
saßen äußerst angespannt auf dem Sofa,
meine Mutter hielt meinen Notizzettel in der Hand. Ihre wutentbrannten
Augen durbohrten mich. Wie so oft, setzte sie diesen Blick auf, um ihr
gar erbostes Entsetzen Ausdruck zu verliehen und sie flößte mir damit
große Angst ein und so hatte ich stets größten Respekt vor ihr. Man
musste bei ihr immer auf der Hut sein. So wie Katzen Besitzer die Mimik
ihrer Katzen studierten, so studierte ich die meiner Mutter. Zu meinem
eigenen Schutze oder um auf der Hut zu sein und dann entsprechend
reagieren zu können. All das machte ich innerlich, mit ganz alleine ab.
Mein Stiefvater redete zuerst. Seine Körpersprache verriet mir nichts
Gutes. Er saß sehr geknickt im Sessel. Irgendwie tat er mir sogar in dem
Moment leid. Er hatte etwas Sorgenvolles und sanftes in dem Moment an
sich. Heute kann ich die Körpersprache deuten: Wie sage ich es meinem
Kinde. Damals verstand ich natürlich nichts, außer, dass man mich bei
meinem Schnüffel-Verbrechen erwischte und harte Sanktionen auf mich
zukommen könnten.
Mein Stiefvater/Vater sagte mir, dass wir einen Spaziergang zur Garage
machen würden. Das taten wir öfter mal. Auf dem Weg dorthin, erzählte
er mir, dass er nicht mein leiblicher Vater sein, sondern sein
Stiefvater. SCHOCK pur. Absoluter, unendlicher, unbeschreiblicher,
stechender Schock. Ich brauche mir keine Sorgen zu machen, er wird mir
immer ein Vater sein. Mir riss es den Boden unter den Füßen weg. Er
sprach weiter: Da gibt es aber noch etwas. Moment einmal, ich bin doch
gerade am Fallen und da gibt es noch was, denke ich. Ich reiße die Augen
weit auf und sehe ihn mit einem staunenden Blick an, während ich die
Augenbrauen hochziehe und meine Verwunderung kaum zurück halten kann.
Angst durchbohrt mich und ich stelle mir die Frage: Kann es noch etwas
Schlimmeres geben JA! ES KANN! Er spricht weiter: Nun ja, ich bin gar
nicht Offizier bei den Grenztruppen, sondern ich arbeite bei der Stasi.
Ich hatte damals nur eine leise Ahnung, was Stasi bedeutet, schlimmer
war für mich der Betrug bzw. die Grenztruppen-Lüge, hatten mein Bruder
und ich ihm doch immer am 1.12., zum Tag der Grenztruppen der DDR, ein
Gemeinschaftsgeschenk gekauft. Auch all das war Lüge. Wir sind also all
die Jahre umsonst los und haben uns Gedanken über ein Geschenk für VATI
gemacht? Wir haben uns all die Jahre umsonst die Köpfe heiß diskutiert,
was wir gemeinsam kaufen. Es hat manchmal Tage gedauert, bis wir
Geschwister uns einigen konnten. All das für seine Lüge? Er grinste. Er
grinste einfach nur, als ob er sich freute, wie gut er in Geheimhaltung
war. Ja, dafür hätte er den höchsten Orden der Stasi verdient, für seine
treuen Dienste im Sinne eines Staates und nicht im Sinne seiner
Familie.
Das schwarze Loch unter mir wurde immer tiefer und tiefer und ich
fiel und fiel. Das Fallen wollte nicht aufhören. Wir begaben uns auf dem
Weg nach Hause. Er redete und redete und ich weinte und weinte, hörte
schon gar nicht mehr hin, bis er mich fragte, wieso ich denn weine.
Darauf konnte und wollte ich nicht antworten und wir liefen schweigend
nach Hause.
Zuhause angekommen, fragte ich meine Mutter, wieso sie mich so lange
angelogen hat. Sie meinte nur, Schultern zuckend: „was sollten wir denn
machen“. Ich rannte ins Kinderzimmer, schmiss mich auf mein Bett und
konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Sie betrat recht laut merklich das
Kinderzimmer und schnauzte mich an, was ich denn da zu weinen hätte,
ich solle mich nicht so haben und verließ das Zimmer mit den Worten, das
ich gegenüber meinem Bruder zu schwiegen habe, da er die Wahrheit erst
mit 18 erfahren soll, wie ich ja eigentlich auch, aber ich habe ja
verbotener Weise in die Schatulle geschaut. Ich bekam also noch, auf dem
Bett schluchzend liegend, Schuldgefühle eingeredet. Ich blieb Stunden
im Zimmer, versuchte mich dann mit Musik abzulenken, bis sich die Tür
wieder öffnete und es hieß ABENDBROT. Ich bekam keinen Bissen herunter.
Die Stimmung war eiskalt. Mein Bruder, so unwissend, so unschuldig, wie
ich noch Stunden zuvor, verstand die Situation natürlich nicht. Ich
verließ den Abendbrottisch, ging in das Kinderzimmer und habe mich erst
am nächsten Tag blicken lassen.
Wir mussten jeden Abend um 19.30 Uhr zu Hause sein, um die „aktuelle
Kamera“, die DDR Abendnachrichten, zu sehen. Wir mussten höllisch
aufpassen, denn wir wurden zwischendurch auch mal abgefragt, was wir
gerade gesehen hätten, um zu prüfen, ob wir auch bei der Sache seien.
Waren DDR Politiker in den Nachrichten zu sehen, wurden wir gefragt, wie
sie heißen. Wussten wir das nicht, gab es verbale Schelte und
Demütigungen. Auch meine Mutter blieb davon nicht verschont. Je nachdem,
wie er drauf war, mussten wir uns dann im Anschluss seiner politischen
Gehirnwäsche unterziehen. Er hatte ja die Verhörmethoden drauf,
schließlich war er ja bei der Firma.
Gleichsam war es mit der DDR Hetzsendung „der schwarze Kanal“. Da ist
ER ja zu Höchstformen aufgelaufen, wie gefährlich der imperialistische
Feind aus der BRD sein und die DDR miss sich gegen den Kapitalismus
wehen und wie wichtig es sei, dass ein jeder Genosse seine Pflicht für
das sozialistische Vaterland tu erfüllen habe. Nur so könne man die DDR
stärken. Das tragische ist, ich habe ihm genau das geglaubt. Genossen
sind gute Menschen, die gutes für die DDR leisten.
Wenn wir mit Freunden im Kino waren, mussten wir danach unseren Eltern
den Film erzählen, als Beweis, dass wir auch ja im Kino waren. Ich hatte
die ganze Zeit im Kino vor diesem Bericht Angst, ich versuchte neben
dem Sehen des Filmes, ihn mir auch gleichzeitig einzuprägen, um auch ja
jede Passage erzählen zu können. Das dramatische jedoch war, dass ich
eine so enorme Angst und Druck aufbaute, dass ich dann zu Hause einen
BLACK OUT hatte und nichts mehr wusste. Meinem Bruder fiel dies leicht,
daher hatte er auch nicht mit Sanktionen zu rechnen. Ich hingegen musste
mit Bestrafungen rechnen, sei es mit Hausarbeit, Stubenarrest,
Fernsehverbot oder zusätzliche Mathematikaufgaben und Diktate nach der
Schule.
Die politische Gehirnwäsche meines Stiefvaters hatte dazu geführt, dass
ich an seine Floskeln so sehr glaubte, Genossen können am Fortschritt
und Wachstum der DDR mitwirken, war ich von diesen Möglichkeiten sehr
fasziniert und sehr stolz darauf, dass Vater und Mutter Mitglied der SED
waren. Ich glaubte Ihnen und stellte all das nicht in Frage.
Ich wollte von meiner Familie, speziell meines Stiefvater, anerkannt
sein...also stellte ich den Antrag auf Beitritt in die SED,
selbstverständlich in dem überzeugten Glauben, etwas mit-BEWIRKEN zu
können. Dann der Schock: im 2. Lehrjahr mussten wir in die Produktion,
die Brigadierin, eine Genossin, die, so wurde mir eingetrichtert, doch
linientreu, im Sinne der DDR zu sein hat, hatte immer über den Westen
gesprochen. Ein riesen Schock für mich, das habe ich nicht kapiert, der
Meister ließ es zu, dass die ganze Brigade sogar Westradio hörten!
Wieder Schock!!! Genossen tun doch so was nicht, hat man mir eingebläut!
Am nächsten Tag frage ich abends meinen Stiefvater: du hast doch
gesagt, dass ....... aber im Betrieb, der Meister, die Brigadierin … tun
das…. Ich erzählte alles bis ins Kleinste. Er fragte neugierig nach.
Ich erzählte. Bis zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass er bei
der Stasi arbeitet. Er gab mir keine Antwort! Ich habe zum ersten Mal
keine Antwort von ihm erhalten, war er doch sonst immer so beflissen in
seine Agitation. Ich wusste nicht mehr, wie mir geschieht. Am nächsten
Tag blieb der Meister weg, auch den nächsten und nächsten und …. Wir
sahen ihn nie wieder. Er sei schwer erkrank. Die Brigadierin begann mich
zu mobben. Alle Kolleginnen haben mich ebenso gemobbt, weil sie nun
kein Westradio mehr hören durften und sie wussten, wem sie das zu
verdanken hatten. Als ich dann mit 18 Jahren Parteimitglied wurde, eine
Kündigung des Aufnahme Jahres war natürlich nicht möglich, denn das
hätte harte Konsequenzen für die Karriereleiter meines Stasivater zur
Folge gehabt und so sah ich dann später zu, als ich dann meinen ersten
Sohn gebar, ich wohnte damals dann schon in einem kleinen Ort, nahe
Berlin, dass ich mich bei jeden kleinen Infekt des Kindes krankschreiben
ließ. So wand ich mich um das, immer montags, nach Feierabend,
stattfindende Partei Lehrjahr im Betrieb und ebenso handhabte ich dies,
so oft es nur irgend ging, mit den auch im Betrieb, auch nach
Feierabend, monatlich stattfindenden Parteiversammlungen.
Mit 14 Jahren durfte ich mit ihm ab und zu zum sonntäglichen
Frühschoppen mitkommen. Ich war immer völlig aus dem Häuschen, denn ich
liebte meinen Vater abgöttisch, den ich ja viel zu selten sah. Abends
kam er meist gegen 19 Uhr nach Hause und samstags gegen 13 Uhr. Er war
so klug, ein studierter Jurist und immer so liebevoll zu mir, von den
Gehirnwäsche-Gesprächen mal abgesehen. Er hatte zwei Gesichter, dennoch
war er mein Gott. Ich durfte dann, die sonst verbotene Cola trinken,
alleine dafür liebte ich ihn, er trank sein Bier. Er fragte und fragte
und ich stand Rede und Antwort. Ich war ja so glücklich, ihn für mich
alleine zu haben. Er wollte Infos über Schüler, Lehrer und Freunde
haben, ich freute mich, dass er an einem Leben interessiert war. Da ich
zu dem Zeitpunkt ein äußerst gespanntes Verhältnis zu meiner Mutter
hatte, fragte er mich auch zu ihr aus, was ich denn von ihr hielte. Ich
kotzte mich aus. Im hohen Bogen. Ich war so froh, dass ich das alles
endlich mal loswerden konnte und er hatte sooo viel Verständnis für
mich. Jahre später, ich war 24, erzählte er mir, bei einen meiner
Besuche mit meinen Söhne bei ihnen, dass er all die Gesprächsinhalte vom
Frühschoppen damals, meiner Mutter erzählt hatte. Ich befand mich
sofort im gleichen Gefühlszustand, wie damals mit 17! Der Boden tat sich
unter mir auf und wieder hatten sie kein Verständnis für mich, für
meine Wut auf sie nicht und meine Tränen nicht.
Nun sollte man meinen, dass es dazu keine Steigerung mehr gibt. Ha! Weit gefehlt.
Ich wurde ja nun von klein auf dazu getrimmt, darauf zu achten, dass
meine Freundschaften auch kaderpolitisch zur Familie passen. So wurde
mir von klein auf anerzogen, gegen alles und jeden Misstrauen zu haben.
Das hatte zur Folge, dass ich jedes Kind, das ich neu kennen lernte
nach seinem Fernsehverhalten befragte, ob es West-Pakete bekomme oder
welch Klamotten es trug. Die konnte ich natürlich nicht so offen und
direkt fragen, konnte und wollte ich mich ja nicht selbst verraten und
mit den Jahren wurde ich immer geschickter im Ausspionieren. Ich hatte
dann meinem Stiefvater Rede und Antwort zu stehen bzw. zu berichten und
bekam dann einige Zeit später das o.k. von ihm, ob die Eltern des Kindes
„sauber“ sind oder nicht. Wenn nicht, dann durfte ich das Kind ab da
nicht mehr kennen und da war mein nächstes Problem: Wie sage ich es…..
Es war so grauenvoll, all die Lügen, all die von den anderen erzwungenen
Verletzungen. Dann gab es Gerda. Die fand ich toll. Die mochte ich so
sehr. Von ihr konnte ich mich nicht verabschieden. Doch meine Eltern
erwischten uns draußen beim Spielen. Meine Mutter schaute immer ganz
gerne prüfend aus dem Fenster, um nach dem Rechten zu sehen…. Permanente
KONTOLLE eben. Ab und zu traf ich mich noch heimlich mit Gerda, als mir
dann die Bedrohungen meiner Eltern zu krass und heftig wurden „wir
stecken Dich ins Heim, wenn du nicht das machst, was wir Dir sagen…“
dann ließ ich den Kontakt mit Gerda schmerzlich sein. Ich habe sie dann
„einfach“ verbal verletzt, sodass auch sie keine Lust mehr auf mich
hatte und sie dürfe sich sowieso nicht mehr mit mir treffen. Als Kind
wusste ich natürlich nicht, was los war.
***
***
Um mal aufzuzeigen, wie sehr die Frauen der Stasi-Männer da perfide
Spiel ihrer Männer mitspielten, hier einen Einblick über das kranke,
abhängige, Verhalten meine MUTTER:
Meine Mutter, eine angepasste Frau, tat, was der Karriere ihres Mannes
gut tat und nicht im Wege stand. So stelle sie es auch nicht in Frage,
dass sie zu Klassenfahrten, als Betreuerin, mitkam. Die anderen Kinder
hatten sozusagen alle Eltern-frei, nur ich nicht. Auf Schritt und Tritt
verfolgte sie mich; mit wem ich rede, was ich rede, wo ich hin wolle,
wie lange, wieso. Ich wurde gehänselt und ausgelacht dafür, aber sie
kannte kein Erbarmen. Sie war immer dabei. So war das auch täglich der
Fall. Sie arbeitete nur halbtags. Es hieß, dass sie aus gesundheitlichen
Gründen nur sechs Stunden arbeiten könne. Heute hege ich den Verdacht,
dass auch dies eine Lüge gewesen sein muss, denn so hatte sie uns schön
unter Kontrolle. Wenn wir von der Schule nach Hause kamen, war Mutti
schon da. Hat das genervt! Ich konnte nie nachverfolgen, wieso meine
Mitschüler so freudig nach Hause rannten oder eher doch, hatten sie ja
meist bis nachmittags sturmfrei. Ein Gefühl, das ich nicht kenne. Mein
Schulweg, der circa zehn Minuten dauerte, zog sich meist in die doppelte
Länge, so sehr stank es mir, dass SIE eh wieder zu Hause ist und ich
nicht alleine mit mir sein könne oder maaal heimlich eine Freundin mit
aufs Zimmer nehmen könnte. Die einzigen Mädels, die sie mir als
Freundinnen gestatten, waren Anja, Michaela und Gertrud. Bei Anja waren
sie so gar nicht dagegen, da ihr Vater ja auch bei der Stasi war (wie
alle Väter im Eingang). Anja und Familie wohnten im fünften Stock, wir
im ersten. Es war das letzte Haus der Siedlung. Im vierten Stock wohnte
ein wichtiger Mensch aus dem Rat des Kreises und somit wohnten in dem
Haus auch lauter Stasi-Familien. Anja erzählte offen herum, dass ihr
Vater bei der Stasi sei, was mich immer so verwunderte wie offen sie das
tat. War das nicht eigentlich ein Geheimnis? Ich war circa vierzehn,
als ich mir diese Frage stellte und ihr auch. Sie verneinte immer, ihr
Vater habe nichts dagegen. Später dann wurden ihn seitens seiner
Dienststelle Veruntreuung der Parteikasse angelastet und wurde in
Unehren entlassen und die Familie zog in eine andere Stadt. Somit war
damit meine beste Vertraute nicht mehr da. Ein äußerst schmerzlicher
Verlust. Ich beneidete sie, weil sie so offen, frei und herzlich in
ihrer Familie aufwuchs. Ich mochte ihren Vater, er war so lustig, sehr
gütig und sagte, was er dachte. Das gefiel mir, unausgesprochen
natürlich, gut. Wenn Michaels und Gertruds Familien mal Westbesuch
bekamen, musste der Kontakt zu ihnen heimlich erfolgen. Offiziell hatte
ich Kontaktverbot. Ich wurde natürlich, je älter ich wurde, immer
„mutiger“ und mutierte hier und da. Zurück zu meiner halbtags
arbeitenden Mutter. Sie war also da. Immer. Wenn ich spät kam, weil ich
ja bummelte, aus Angst vor ihrer schlechten Laune oder ihren Ohrfeigen.
Diese gab es immer, wenn ich schlechte Zensuren mit nach Hause brachte
und das passierte oft. Ich habe so enorme Versagensängste in der Schule,
dass ich mich nie richtig konzentrieren konnte, da die Angst mir im
Nacken saß. Mathe war grauenvoll. Heute weiß ich, dass ich eine
Rechenschwäche hatte, aber damals. Also gab es Ohrfeigen, wenn sie mich
mit ihrem Kommandoton aufforderte die Klassenarbeit vorzuzeigen. Was mir
aber völlig schleierhaft war, ist die Tatsache, wieso ich von einer
Frau für ein schlechtes Diktat Ohrfeigen bekam, die selbst nur schwer
lesen und schreiben konnte. Dies konnte ich natürlich nicht äußern, denn
ich wollte weder im Heim landen, noch wochenlangen Stubenarrest
bekommen. Ich weinte, denn die Ohrfeigen hinterließen nicht nur
Schmerzen in meinem Gesicht, sondern auch ihre fünf Finger, so stark
schlug sie zu. Sie gab mir dann den Befehl, mit sehr strengen und angst
einflößenden Blick, dass ich die Klassenarbeit unaufgefordert und
unverzüglich meinem Vater vorzulegen habe. Ich tat wie mir befolgen,
denn ich wollte nicht ins HEIM.
So könnte ich noch viele traurige, denunzierende, demütigende Geschichten erzählen.
Kurz zusammengefasst habe ich das in meinen Gedichten an meine Familie:
Kurz zusammengefasst habe ich das in meinen Gedichten an meine Familie:
Vater
Als Kind hatte ich Dir vertraut,
warst mein Vorbild,
mein kleiner Gott.
Ja, ich vergötterte Dich.
Ich erinnere mich,
wie wir beide diskutierten,
sangen und lachten.
Vater-Tochter-Glück.
Ich, ich liebte Dich einfach nur.
Du gabst mir Deine
Liebe und Zuwendung,
fast schon zu viel ...
und ich,
ich glaubte Dir,
war voller Vertrauen
und hatte niemals Zweifel.
Später jedoch,
als Frau und Mutter,
begriff ich!
All die Jahre
Meiner Kindheit und Jugend,
hattest Du mich belogen.
Deine Liebe war nur geheuchelt,
aus purem Eigennutz, für Dein
Emporsteigen auf der Leiter des
Erfolgs.
Da hinein paßten meine kindlichen
Gedanken, Phantasien und Gefühle nicht,
ich hatte mich Dir unterzuordnen
und Du ...
Du wußtest es mit „Liebe“ zu verpacken.
Diese tiefen Wunden auf meiner Seele
Heilen nur sehr schwer.
Du hast sie mir zugefügt,
zu leugnen nützt nichts
und dennoch vergebe ich Dir,
um meinen inneren Frieden zu finden.
Endlich Frieden,
endlich Stille in mir. 23.10.1997
Genosse Stasi-Vater
Diese Vergewaltigung
Gehirnwäsche
Seelischer Raub
Körperliche Ausbeutung
Umgehen kann man damit lernen
Nur vergessen
Wer kann schon das Gesicht
Seines Peinigers vergessen
Wie sollte ich vergessen
Seine Hand, dort,
Wo sie nicht hingehört
Wie kann ich Lieben?
Nach all der geheuchelten Liebe?
Auf der Seele klaffen Wunden
Sie eitern
Sie platzen auf
Sind nie verheilt
Oh nein
Keinen Haß
Das wäre noch zu viel
Gefühl für dich
Genosse STASI-Vater!, 29. Mai 2003
Mutter
Zeitlebens lechzte ich nach Mutterliebe.
Rang um Streicheleinheiten und so vieles mehr,
wollte seelisch nicht verkümmern,
wollte stark werden und wachsen.
Die Erkenntnis, eine Mutter zu haben,
die keine Liebe geben konnte, schmerzte.
Deine Angst vor alledem,
hatte ich sooft gespürt.
Mitleid und Mitgefühl für dich durchströmen
meine Seele, mein herz, meinen Körper.
Tränen benetzen mein Gesicht.
Heute lasse ich die Hoffnung
nach Mutterliebe los.
Sehnsucht auf eine Mutter,
die mit ihrer Tochter redet und zuhört,
die einfach nur versteht.
Du erwartest von mir Akzeptanz,
willst deinen einengenden Weg nicht verlassen,
kommst keinen Schritt auf mich zu,
verharrst in deinen alten Ängsten.
Fühle die alte Kette zwischen uns,
wie sie Glied für Glied,
sich ins Nichts aufgelöst hat.
Dieses dunkle Nichts hätte ich so gern gefüllt
mit Liebe – mit Gespräche,
lachen und weinen - reden und zuhören,
sich halten und fallen lassen,
berühren und ansehen.
Nur mit dir, geliebte Mutter.
Ich fühle mich erlöst,
gelöst, ungebunden - frei.
Nehme dein stummes Nein an,
will dich nicht mehr bedrängen,
gar ängstigen.
Mutter und Tochter jedoch
bleiben wir immer.
Egal wie – egal wo., 31.01.1996
Kleines Mädchen
Du wurdest hineingeboren, in eine Welt,
in der du nicht willkommen warst.
Kein Wunschkind. Bastard.
Wurdest vernachlässigt und ignoriert,
gaben sie dir doch das Gefühl ungeliebt
und unliebenswert zu sein.
Es stimmt mich unsagbar traurig,
wenn ich daran denke,
wie sie dich grausam und gedankenlos neckten,
sie dir Schimpfnamen gaben
und sie unglücklich waren, dass es dich gab.
Bekamst keine Liebe,
deine Mutter war nie für dich da.
Doch du – kleines Mädchen,
sehntest dich nach Anerkennung,
nach einer Hand, die dich hielt.
So verging Jahr um Jahr,
weintest viele Tränen,
warst stumm geworden,
voller Trauer und Verzweiflung,
wolltest nicht mehr, wolltest gehen,
um zu vergessen – suchtest Erlösung.
Doch deine innere Stimme war stärker,
nur so konntest du die Seelenqualen überstehen.
Viele Fragen brannten auf deiner Seele,
wolltest Antworten, um zu verstehen.
Kleines Mädchen,
ich nehme dich in meine Arme,
drücke dich ganz fest an mich,
lasse dich meine Wärme spüren,
um dir zu sagen:
es ist schön, dass es dich gibt,
du bist hübsch und klug,
ein wunderbarer kleiner Mensch,
voller Leben und Tapferkeit,
so zart und voller Anmut.
Kleines Mädchen – dich liebe ich., 31.01.1998